– Anzeige –
Christoph Anrig
Verein:
STV Roggwil TG
Funktion:
Co-Präsident TKT und Mitinitiant 50/50-Kampagne
Hand aufs Herz: Ein Turnfest ohne Alkohol, unvorstellbar?
Heute und in den letzten 150 Jahre war das sicher so. Ob das immer so bleiben wird? Wahrscheinlich.
Wozu dann eine Kampagne gegen Alkohol?
Unsere 50/50-Kampagne ist keine Initiative gegen Alkohol. Ich selbst trinke auch gerne ein Bier, speziell am Turnfest. Vielmehr ist es ein Aufruf, sich zum Umgang mit Alkohol in der Vereinskultur bewusst Gedanken zu machen.
Das musst du genauer erklären …
Mit der 50/50-Kampagne haben wir Vereine eingeladen, ein Foto vom Anstossen mit mindestens 50 Prozent alkoholfreier Getränke bei einem Vereinsritual einzusenden. Die anderen 50 Prozent durften durchaus alkoholische Getränke sein. Ziel war es also nicht, Alkohol zu verbieten.
Wie wurde diese Einladung von den Vereinen angenommen?
Erwartungsgemäss sehr unterschiedlich. Wir haben je einen Six-Pack-Bier mit und ohne Alkohol an über 300 Turnvereine versendet. Viele haben sich herzlich dafür bedankt. Darauf folgten gute Gespräche. Angefangen von «Super Sache, machen wir mit» bis zu «Danke für das Bier, aber mit dem alkoholfreien können wir nicht viel anfangen». Zum Schluss konnten wir drei gelungene Vereinsrituale, die eingesendet wurden, belohnen.
Dein Fazit der 50/50 Kampagne?
Mit den Reaktionen sind wir zufrieden. Obwohl wir uns zu Beginn erhofft hatten, mit dem Wettbewerb noch ein paar mehr Vereine zum Mitmachen motivieren zu können.
Woran lag das?
Ich kann nicht für alle sprechen. Einige der Turnvereine konnten vielleicht die Botschaft der Kampagne nicht unterstützen oder sahen die Chance in einer solchen Aktion nicht. Und bei anderen war es vermutlich schlicht der Faktor Zeit.
Worin siehst denn du die Chance dieser Aktion?
In der Reduktion von Alkohol in Ritualen sehen wir eine konkrete Chance für die Vereine, mehr Personen, insbesondere auch Junge, für das Vereinsleben zu begeistern. Ein steigender Teil der nächsten Generation ist sensibler auf das Thema Alkohol. Werden Rituale noch offener gestaltet, gerade auch an Turnfesten, werden mehr Menschen den Turnverein für sich entdecken.
Wie seid ihr darauf gekommen?
Aus eigener Erfahrung. Einerseits hat sich unser traditioneller «Stamm» nach dem Turnen in der Beiz in den letzten 15 Jahren massiv verändert. Es wird heute weniger Alkohol getrunken, weniger lang beisammen gesessen - speziell von den Jungen. Im Grundsatz positiv. Jedoch geht das gesellige Beisammensein verloren. Die Auswirkungen auf den Verein haben uns bewegt. Zudem war bei uns am Turnfest das Fest direkt am See, mitten in der Stadt. Das stehen wir im Scheinwerferlicht. Als Organisator des Thurgauer Kantonalturnfest wollen wir Verantwortung übernehmen und einen positiven Beitrag leisten.
Gibt es noch andere Beispiele von Vereinsritualen, die ihr im Blick habt?
Mit Ritualen meinen wir alles, was in einem Verein regelmässig passiert und eine Art «Tradition» ist. Das können kleine, unspektakuläre oder auch spezielle Dinge sein. Zum Beispiel in der Garderobe nach einem Spiel, eine Geburtstags-Runde, das obligate Bier nach einem Arbeitseinsatz oder das Feiern am Turnfest.
Und wie können diese Vereinsrituale ohne Alkohol attraktiver gemacht werden?
Zur Klärung: Attraktiver in diesem Zusammenhang heisst für uns: offener für mehr Personen. Ein Ansatz ist, uns zu fragen, um was es eigentlich geht. Um die Freude am Turnsport? Den Stolz einer Leistung? Das Beisammensein? Und dann genau diese Punkte wieder in den Vordergrund stellen. Zudem ist es wichtig, nebst Alkohol auch attraktive alkoholfreie Getränke bereitstellen, damit alle gleichermassen mitfeiern können.
Und erwartet ihr euch dadurch ein anderes Fest bei euch am Turnfest?
Nein, nicht grundsätzlich. Veränderungen brauchen Zeit. Wir möchten aber weiterhin auch in unserem Verein daran arbeiten. Denn vor allem dort, wo das Ritual zu kippen droht und es sich nur noch um den Alkohol dreht, wird es kritisch. Dann droht der Verein seinen Inhalt zu verlieren. So finde ich es persönlich nur schon wertvoll, sich wieder mehr Gedanken über das Wesentliche zu machen und das zu pflegen. Ich wünsche mir nämlich von ganzem Turnerherzen, dass die Turnvereine und Turnfeste auch in 100 Jahren noch attraktiv und zeitgemäss sind.
Die 50/50-Kampagne
Das Thurgauer Kantonalturnfest Arbon-Roggwil fand vom 20. bis 30. Juni 2024 statt. Mit 7400 Turnerinnen und Turner, 5500 Kinder und Jugendlichen und 20'000 Festbesuchern war es in diesem Jahr das grösste Turnfest der Schweiz. Das OK des Thurgauer Kantonalturnfest 2024 Arbon-Roggwil hat mit der Unterstützung des Kantons Thurgau (Alkoholzentel), der Brauerei Chopfab sowie Coop über 300 Turnvereine mit der 50/50-Kampagne für das Thema Alkohol in Vereinsritualen sensibilisiert. Eine aussergewöhnliche Aktion, die zu (gewollten) Diskussionen führte. Christoph Anrig ist Co-Präsident und hat die Kampagne mitlanciert.