Balance im Auge behalten

  • 18. Oktober 2022

  • Alexandra Herzog

  • Stephan Boegli/Thomas Ditzler

  • Erschienen im GYMlive 4/2022

Das Geräteturnen gehört in der Schweiz zu den traditionellsten und beliebtesten Sportarten. Wo steht das Geräteturnen heute und wo soll es hingehen? Ressortchef Simon Marville steht Rede und Antwort.

Zur Person

Simon Marville (38) wohnt in Wichtrach und arbeitet als Leiter Informatikstrategie bei der Schweizerischen Post.

Seit 2014 ist er Ressortchef Geräteturnen beim STV.

Simon steht immer noch einmal pro Woche als Leiter in der Turnhalle.

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Simon Marville, erkläre einem Laien das Geräteturnen in drei kurzen Sätzen erklären?

(Lacht) Jede und Jeder musste es im Schulturnen machen – entweder hat man es gehasst oder geliebt. Das ist Geräteturnen.
 

Was fasziniert dich am Geräteturnen?

Die Vielseitigkeit, welche die Sportart mit sich bringt. Fürs Geräteturnen braucht es Geschicklichkeit, Kraft, Ausdauer und so einiges mehr. Dabei ist man am Einzelgerät auf sich gestellt oder turnt im Teamsport den Vereinsgeräteturnen.
 

Das Geräteturnen hat in der Schweiz eine lange Tradition. Inwiefern hat sich die Sportart in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt?

Sie wurde massiv professionalisiert. In Sachen methodische Aus- und Weiterbildung, aber auch in der Technik, also den einzelnen Elementen. Gegenüber früher trainiert man nun technisch viel komplexere und sicher auch schwierigere Element als früher.

Ohne das Team dahinter würde es nicht funktionieren.

Das Geräteturnen ist eine schweizerische Besonderheit. Im internationalen Verständnis wird es mit dem Kunstturnen gleichgesetzt. Wo liegen die Unterschiede?

Wir sind im Breitensport und somit für alle zugänglich, damit grenzen wir uns ab. Die Spannweite ist aber so gross, dass das Geräteturnen mittlerweile bis an den Leistungssport reicht. Ein weiterer Unterschied liegt in den einzelnen Disziplinen beziehungsweise Geräten (s. Info-Box).
 

Und wo die Gemeinsamkeiten?

Davon gibt es sehr viele. Sei das in der methodischen Ausbildung, aber auch in den technischen Einzelausführungen der Turnelemente. Da ist die Überschneidung gross. Deshalb wurde auch das Projekt Geräteturnen-Kunstturnen lanciert.
 

Was genau will man damit erreichen?

Ein näheres miteinander, gemeinsamer Anfang sowie strukturierte Karriereplanungen ermöglichen.

Wir gehen stark davon aus, dass am Anfang einer Turnlaufbahn bei beiden Sportarten die gleiche Basis gelegt werden kann. Erst später entscheidet sich die turnende Person, ob sie sich in Richtung Kunst- oder Geräteturnen weiterentwickeln will.

Dabei sollte ein Wechsel vom Kunsturen ins Geräteturn respektive umgekehrt jederzeit möglich sein. Das Ziel ist, dass die turnende Person möglichst lange Freude hat, den Turnsport auszuüben.

Das Geräteturnen hat in der Schweiz eine grosse Community.

Es gibt das Einzel- und Vereinsgeräteturnen. Wo sind da die Unterschiede und warum braucht es beides?

Im Einzelturnen ist man eigenständig unterwegs und im Vereinsturnen ist man mit einem Team an den Wettkämpfen. Im Einzelgeräteturnen werden vorgegebene Elemente pro Stufe gezeigt und bewertet. Im Vereinsgeräteturnen tritt man als Team zusammen auf und kombiniert verschiedene Elemente am gewählten Gerät zur Musik. Im Vereinsgeräteturnen wird nicht nur die Einzelausführung, sondern auch die Synchronität unter den Turnenden zur Musik und die Programmgestaltung bewertet.
 

Was ist mit den Riegen, die Vereinsgeräteturnen machen, obwohl sie keine Basis im Einzelgeräteturnen haben?

Das Vereinsgeräteturnen ist Breitensport und soll allen die Möglichkeit bieten mitzumachen. Die Leiter müssen sich intensiv weiterbilden, um die Mitturnenden gleichermassen gut zu unterrichten. Es braucht Engagement und Freude.

Geräteturnende sind vielseitig einsetzbar.

Die Wettkämpfe im Einzelgeräteturnen ziehen sich meist über einen ganzen Tag hin und sind für Aussenstehende nicht sehr attraktiv. Müsste es nicht das Ziel sein, dies zu ändern?

(Schmunzelt) Gute Frage. Ich habe mich auch schon gefragt, wie man diese Wettkämpfe attraktiver gestalten könnte, ohne dass man jemanden ausschliesst und es gegen den Breitensport-Gedanken geht. In erster Linie geht es bei den Wettkämpfen um die turnende Person und dass sie sich präsentieren und messen kann.

Als Veranstalter versucht man möglichst kompakte Durchgänge anzubieten. Es gibt Veranstalter, welche noch Abwandlungen einbauen mit Fun-Faktoren, wie zum Beispiel der Zelebrierung der Besten an einem Gerät oder mit Kurz-Challenges. Aber grundsätzlich sind diese Wettkampfformate gegeben. Mit der Vorstellung der Turnenden oder digitaler Begleitung versuchen wir aber, diese auch fürs Publikum etwas attraktiver zu gestalten. Die Schwierigkeit ist hier sicher auch der Breitensport-Gedanke. Wir wollen möglichst vielen die Chance geben, teilzunehmen und die Hürden auch für die Veranstalter nicht zu hochzulegen.
 

Wie wäre es, bei einer Schweizer Meisterschaft im Einzelgeräteturnen auch eine Art Finaldurchgang zu machen?

Am Tag des Wettkampfes ist dies schwierig, die Anzahl der Startenden ist meist sehr hoch. Aber es gibt natürlich die Gerätefinals. Da messen sich die besten Turnerinnen und Turner jeweils an einem Gerät.

Die Entwicklung im Geräteturnen wird stetig vorangetrieben.

Wie entstehen die Weisungen und der Bewertungskataloge?

Dafür haben wir ein absolut cooles Expertenteam bei uns. Unterschiedliche Fachgruppen, worin Richter-, aber auch Technik und Methodik-Kompetenzen vereint sind. Diese Personen diskutieren, zum Beispiel beim Einzelgeräteturnen wie die einzelnen Turnelemente aufgebaut werden, wie sie aussehen und ausgeführt werden sollten und welche Fehlerbilder es gibt damit Abzüge im Wettkampf gemacht werden können.
 

Was muss eine Person mitbringen, um im Geräteturnen erfolgreich zu sein?

Verschiedenes – Geräteturnerinnen und -turner sind sehr vielseitig. Sie verfügen über gute körperliche Konstitution, Konzentrations- und Umsetzungsfähigkeit, Koordination, um nur einiges zu nennen. Von Schnellkraft bis zu Ausdauer ist alles gefordert.

Geräteturnende sind vielseitig einsetzbar und darum auch in anderen Disziplinen gefragte Leute. Für das Vereinsgeräteturnen benötigt man zusätzlich etwas Taktgefühl oder einen gut ausgebildeten Leiter, der, wenn dieses weniger vorhanden ist, es gut in die Vorführung einbinden kann.
 

Wie sieht ein typischer Geräteturn-Werdegang aus?

Die meisten steigen in jungem Alter ein. Da erarbeiten sie sich die Grundlagen mit zwei bis drei Trainings pro Woche und dem Bestreiten von Wettkämpfen. Ab einem gewissen Alter kann, wer will, beim Vereinsturnen mitwirken. Vorausgesetzt, dass der Verein das überhaupt anbietet. Es gibt viele Turnende, die ihre Einzel-Karriere vorantreiben und dabei auch noch in im Vereinsgeräteturnen mit machen.

Möglichst vielen die Chance geben, teilzunehmen.

Wohin sollte sich deiner Meinung nach das Geräteturnen in den kommenden Jahren entwickeln?

Wir müssen die Balance zwischen Breiten- und Leistungssport weiterhin im Auge behalten. Das heisst, das Geräteturnen soll für alle attraktiv bleiben.

Die Gesundheit jedes Sportlers soll im Vordergrund stehen. Gleichzeitig müssen wir aber auch den Turnenden, die mehr leisten wollen, die Chance dazu zu bieten, sich weiterzuentwickeln. Dabei dürfen wir aber nicht zu stark abschweifen, denn der Aufwand, um die Sportart auszuüben, darf nicht zu gross werden. Sehr wichtig ist auch, dass wir uns in Sachen der Leiter- und Richterausbildung mitentwickeln.
 

Wie beurteilst du die Neustrukturierung des Schweizerischen Turnverbandes, womit der Breiten- und Spitzensport unter einem Dach angelegt sind?

Das begrüssen wir sehr. Wir können sicher gegenseitig voneinander zu profitieren. So dass der Breiten- und Spitzensport näher zusammenrückt, sprich eine hohe Durchgängigkeit ermöglicht wird. Dazu ist auf beiden Seiten ein gewisser Wille zur Zusammenarbeit nötig.
 

Wo möchtest du als Ressortchef das Geräteturnen hinführen?

Wir als Ressort möchten, dass es weiterhin ganz vielen Turnenden und Jugendlichen Spass macht, den Sport auszuüben und den Breitensportgedanken hinter dem Geräteturnen weiter zu verankern.

Facts + Figures

  • Geräteturnen gehört zu den ersten Sportarten, die bei Jugend+Sport aufgenommen wurden (1972).
  • Ungefähr 50 Personen sind ehrenamtlich im Ressort Geräteturnen beim STV tätig
  • Es gibt drei Schweizer Meisterschaften im Einzelgeräteturnen, zwei im Vereinsgeräteturnen sowie unzählige kantonale und regionale Geräteturn-Wettkämpfe
  • Einzelgeräteturnen: Die Disziplinen sind Reck, Schaukelringe, Barren, Boden, Minitramp-Sprung
  • Vereinsgeräteturnen: Gerätekombination, Boden, Barren, Reck, Sprung, Schaukelringe, Schulstufenbarren, Trampolin, und Rhönrad

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