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Am Mittwochabend gehört die Turnhalle in Tägerig für 90 Minuten den Parkour-Jungs des SV Tägerig. 18 Buben im Alter zwischen sieben und zwölf Jahren kommen jeweils ins Training. Nach einem kurzen Aufwärmen gehts ans Aufbauen. Bis Matten, Trampoline, Schwedenkästen, Barren und Co. korrekt aufgestellt sind, dauert es eine Weile. «Wir bauen immer verschiedene Posten auf, an denen die Jungs dann ihre Tricks und Elemente üben können», sagt Jonathan Rudolf.
Der 22-jährige Sportstudent aus Tägerig ist verantwortlich für das Parkour-Training im Sportverein. Seit über zehn Jahren ist Parkour sein Hobby. Das meiste hat sich Rudolf, der seit vielen Jahren als Geräteturner im TV Niederwil und in der Jugi beim SV Tägerig aktiv ist, selbst beigebracht. «Mit meinen Kollegen haben wir oft Youtube-Videos angeschaut und dann versucht, diese Elemente nachzumachen», so Rudolf. Viele Samstage hat er in einer kleinen Gruppe mit Parkour-Trainings verbracht. Wettkämpfe absolviert er keine.
Parkour-Training ist Familiensache
Vor gut zwei Jahren klopfte dann der SV Tägerig bei Jonathan Rudolf an und fragte, ob er Interesse hätte, ein offizielles Parkour-Training anzubieten. «Ich habe zugesagt und der Kurs wurde vom Verein beworben», erzählt Rudolf. Von Beginn weg kam eine kleine Gruppe von fünf bis zehn Kindern zustande, die fortan einmal pro Woche bei ihm trainierte. Jonathan Rudolf, der aktuell an der Uni Bern im dritten Semester Sport studiert und die J+S Schulsport-Ausbildung absolviert hat, holte sich Verstärkung, um die Trainings zu leiten. Seither bilden seine Kollegen Fabio Strebel und Levi Müller, sowie seine drei jüngeren Brüder Michael, Raphael und Tobias mit ihm das Leiterteam. «Drei von uns sind immer in der Halle, die anderen kommen, wenn es die Zeit zulässt. Es braucht schon mehrere Leiter, um die Kinder betreuen zu können.»
Sprünge sind beliebt
Wer das Training beobachtet, dem wird schnell klar, weshalb es mehrere Leitende braucht. Die 18 Jungs bringen enorm viel Energie in die Halle, was sich auch am beachtlichen Geräuschpegel bemerkbar macht. Eines aber ist offensichtlich: Die Kinder haben viel Spass am Training. Vor allem die Sprünge – am liebsten Saltos – stehen bei ihnen hoch im Kurs.
Jonathan Rudolf und seine Leiterkollegen beobachten die Sprünge, geben Tipps und bieten falls nötig Hilfestellungen an. «Es ist wichtig, dass wir die Jungs Schritt für Schritt an die Übungen heranführen. Gleichzeitig legen wir aber auch viel Wert darauf, dass sie ihre eigene Kreativität einbringen und mit der Zeit einen eigenen Stil entwickeln können. Schliesslich geht es im Parkour genau darum», sagt Jonathan Rudolf.
Grosses Interesse
Das Parkour-Angebot hat sich im SV Tägerig mittlerweile mehr als nur etabliert. Das Interesse am Kurs ist gross. «Allein im letzten Sommer sind zehn Jungs dazugestossen und die kommen nicht nur aus unserer Gemeinde, sondern auch aus den Nachbardörfern», sagt Jonathan Rudolf. Ausser dem SV Tägerig bietet kein Turnverein in der Region Parkour-Trainings an. «Wir haben noch weitere Anfragen, aber wir können aktuell nicht noch mehr Kids aufnehmen, weil die Halle zu klein ist. Vielleicht bieten wir in Zukunft noch ein zweites Training für ältere Jugendliche an», sagt Jonathan Rudolf.
Nicht nur in der Halle
Das Beispiel des SV Tägerig zeigt: Parkour lässt sich sehr erfolgreich in die bestehenden Angebote eines Turnvereins integrieren. Vor allem auch deshalb, weil Synergien mit anderen Sportarten genutzt werden können. «Geräteturnen ist sicherlich eine super Basis, um auch Parkour zu machen», findet Jonathan Rudolf und fügt hinzu. «Es ist jedoch wichtig, dass die Leitenden selbst Parkour-Erfahrung haben und die Sportart verstehen. So können sie die Kinder Schritt für Schritt an die Elemente heranführen und sind in der Lage, in der Halle mit dem herkömmlichen Turn-Equipment coole Hindernisse und Posten aufzubauen.»
Die Parkour-Trainings in Tägerig finden aber nicht nur in der Turnhalle statt. In den Sommermonaten wird auch hin und wieder draussen trainiert, dort wo Parkour eigentlich herkommt. «Draussen ist aber besondere Vorsicht geboten. Denn dort gibts keine Matten für eine sanfte Landung. Darum gilt bei uns immer die Regel: Draussen wird nichts Neues ausprobiert», sagt Jonathan Rudolf. Ihm ist es aber dennoch wichtig, dass seine Kids auch draussen Parkour betreiben. So, wie er einst auch angefangen hat.
Einige Übungsbeispiele
Speed
Frontal auf den Schwedenkasten zulaufen, in die horizontale Schräglage springen, eine Hand auf dem Schwedenkasten abstützen.
Nach dem Abstützen mit dem Arm auf dem Schwedenkasten kräftig abdrücken und gleichzeitig mit den Beinen eine Scherenbewegung ausführen, um frontal zu landen.
Kong
Frontal und zügig auf den Schwedenkasten zulaufen, abspringen, mit gestreckten Armen auf dem Schwedenkasten abdrücken (aus den Schultern), die angezogenen Beine zwischen den Armen hindurch über den Schwedenkasten ziehen, sauber landen.
Dash
Frontal, eher langsam auf den Schwedenkasten zulaufen, abspringen, als ob man mit dem Rücken auf dem Schwedenkasten landen möchte.
Im letzten Moment auf beiden Händen abstützen und abdrücken, damit man mit den Beinen voran über den Schwedenkasten kommt.
Arm Jump
Frontal auf die Matte zulaufen, abspringen, die Füsse hochziehen und mit gestreckten Beinen auf die Matte zufliegen, den Sprung mit den Füssen abfedern, danach mit den Händen den Holmen des Barrens greifen, am Holmen hängen bleiben, wobei die Beine stark angewinkelt und die Füsse an der Matte sind.
Climb up
Die Endposition des Arm Jump ist die Startposition des Climb up.
Die Beine schräg nach unten durchdrücken, die Arme ziehen den Oberkörper in Richtung Holmen, anschliessend die Arme durchdrücken, damit man auf die Matte klettern kann.
TicTac
Schräg zur Wand anlaufen, abspringen in Richtung Wand, den Sprung mit einem Fuss an der Wand abfedern und wieder abdrücken, im Moment des Abdrückens wird der Oberkörper von der Wand weggedreht, um zu sehen, wo man landet – beispielsweise auf einem Kastenoberteil.
Wall Flip
Frontal anlaufen, etwas weniger als hüfthoch ein Bein an die Wand stellen und abstossen, im Moment des Abstossens wird mit dem Schwungbein eine Kickbewegung nach oben ausgeführt und gleichzeitig werden beide Arme nach oben geschwungen.
So wird die Rückwärts-Salto-Bewegung eingeleitet.
Knie zur Brust und nach der Drehung sauber landen.
Voraussetzung: Salto rückwärts beherrschen.
Webster
Ausgangsposition stehend auf dem Schwedenkasten, das Knie des Schwungbeins wird zur Brust gezogen, von dort wird das Schwungbein zügig nach hinten durchgestreckt und gleichzeitig der Oberkörper nach vorne gebeugt.
Mit dem Sprungbein vom Schwedenkasten abdrücken. Die vom Schwungbein eingeleitete Salto-Bewegung zu Ende führen und landen.
Voraussetzung: Salto vorwärts beherrschen.
Parkour beim STV – der aktuelle Stand
2019 wurde das «Projekt Parkour» im Schweizerischen Turnverband lanciert. Mittlerweile wird Parkour in verschiedenen Turnvereinen in der Schweiz angeboten. Wie viele Vereine es genau sind, weiss Ludovic Vergères, Ressortleiter Parkour beim STV, nicht. «Aktuell haben wir keine genauen Zahlen, möchten diese aber noch in diesem Jahr erheben», sagt er. Ebenfalls in diesem Jahr sollen die J+S-Weiterbildungsmodule und die J+S-Leitereinführungskurse im Parkour erarbeitet werden.
Die J+S-Grundausbildung für Parkour kann dagegen bereits absolviert werden. Im letzten Jahr fanden die ersten beiden Kurse statt, in denen über 40 Leitende ausgebildet wurden. Nicht nur in der Ausbildung hat sich seit der Eingliederung von Parkour in den STV einiges getan, sondern auch bei den Wettkämpfen. «Wir haben die Swiss Parkour Series lanciert, die in diesem Jahr mindestens an drei Orten stattfinden und neu auch eine Kids-Kategorie anbieten wird», sagt Vergères.
Mit den Bemühungen im Bereich Parkour verfolgt der Schweizerische Turnverband gleich mehrere Ziele. Ludovic Vergères beschreibt diese wie folgt: «Wir wollen Parkour in möglichst vielen Turnvereinen etablieren, da die Sportart gerade für Jugendliche sehr attraktiv ist. Dafür müssen wir aber auch den Ausbildungsbereich weiter ausbauen, so dass wir möglichst viele gut ausgebildete Leitende haben. Zudem wollen wir auch den Spitzensport im Bereich Parkour fördern.»