Benjamin Gischard trifft Kunstturn-Legende Ernst Fivian

  • 6. Oktober 2021

  • Vasilije Mustur & Alexandra Herzog

  • Alexandra Herzog

Nach dem historischen Gewinn der Silbermedaille an den Heim-Europameisterschaften in Basel traf Team-Captain Benjamin Gischard erstmals auf die Schweizer Kunstturn-Legende Ernst Fivian. Der STV war beim Treffen der Generationen dabei.

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Es war ein Auftritt für die Schweizer Geschichtsbücher: Benjamin Gischard gelang an den Heim-Europameisterschaften in Basel im Boden-Final eine beinahe perfekte Übung und wurde dafür mit der Silbermedaille belohnt. Seit dem Europameisterschaftstitel von Ernst Fivian 1959 gelang keinem Schweizer Kunstturner an diesem Gerät eine bessere Klassierung. Für den STV ist dieser geschichtsträchtige Auftritt Grund genug die beiden Kunstturn-Helden Benjamin Gischard und Ernst Fivian zusammenzuführen – und so empfing Kunstturn-Legende Ernst Fivian den amtierenden Team-Captain Benjamin Gischard nach seinem Erfolg an den Europameisterschaften in seiner Altersresidenz am Fusse des Vierwaldstättersees. Dabei sprachen Gischard und Fivian angeregt über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft:

Kunstturn-Europameisterschaften

Ernst Fivian kann sich nur zu gut an den Auftritt von Benjamin Gischard während den diesjährigen Europameisterschaften in Basel erinnern: «Deine Bodenübung im Final fand ich wunderschön», sagt der inzwischen 90-jährige Kunstturner. Zudem zollt er im Gespräch Gischard für seine vielen und anspruchsvollen Sprünge Respekt. Der Europameister aus dem Jahre 1959 erinnert sich nur zu gut, unter welchen Bedingungen er seine Sprünge den Kampfrichtern präsentierte: «Wir mussten unsere Sprünge auf dem nackten Rasen ausführen.» Das hinderte Fivian aber nicht daran, die Sprünge mit einem hohen Schwierigkeitsgrad auszuführen – im Gegenteil: «Wir zeigten damals einen gestreckten Salto mit einer halben Drehung und nach der Landung ging ich direkt in den Spagat», sagt Fivian stolz.

Benjamin Gischard überreicht Ernst Fivian ein Team-Trikot mit den Unterschriften seiner Mannschaftskollegen als Zeichen der Anerkennung und des Respekts.
Die Freude über den Besuch von Benjamin Gischard war Ernst Fivian ins Gesicht geschrieben.
Gischard und Fivian unterhalten sich angeregt auf dem Balkon seines Alterszentrums.
Die beiden Kunstturner sprachen über die Olympischen Spiele, die Entwicklung der Sportart und ihre sportlichen Erfolge.
Ernst Fivian bewahrt all seine Pokale und Medaillen in seiner Vitrine auf.
Ernst Fivian gewährt Benjamin Gischard Einblick in seine Erinnerungsstücke - dazu gehören auch aufbewahrte Zeitungsausschnitte über seine Erfolge.

Entwicklung des Kunstturn-Sports

Ernst Fivian bewundert die Athletik der aktuellen Kunstturner. Wenn der Olympiasilbermedaillengewinner über die Körperbeherrschung der Athletinnen und Athleten spricht, kommt er ins Schwärmen. Dennoch vermisst Fivian ein für ihn entscheidendes Element in der heutigen Szene: Die Gymnastik sei zulasten der Athletik teilweise verloren gegangen, moniert Fivian. Tatsächlich gilt Ernst Fivian als Pionier, die Gymnastik in die Kunstturn-Übungen einzubinden: «Es war mir damals alles zu statisch – ich wollte Abwechslung in meine Übungen bringen. Deshalb habe ich vermehrt die Gymnastik in meine Elemente eingebaut», erinnert sich der 90-Jährige. Der Erfolg gab Fivian Recht: Der gebürtige Thuner erturnte sich an den Olympischen Spielen in Helsinki 1952 mit dem Schweizer Nationalkader die Silbermedaille im Mehrkampf. Sieben Jahre später gewann Fivian an den Europameisterschaften in Kopenhagen im Boden-Final die Goldmedaille. 

Ich zeigte damals einen gestreckten Salto mit einer halben Drehung und nach der Landung ging ich direkt in den Spagat.
Ernst Fivian Europameister Boden, 1959

Der sportliche Erfolg hat bei Fivian trotzdem Spuren hinterlassen: «Meine Füsse sind kaputt und ich habe künstliche Hüftgelenke», sagt Fivian. Gleichzeitig berichtet der einstige Kunstturner, dass die Spitzensportler zu seiner Zeit erst mit 16 Jahren dem Kunstturnsport nachgingen, parallel berufstätig waren und deshalb maximal dreimal die Woche am Abend trainieren konnten. An dieser Stelle kann sich Benjamin Gischard ein Schmunzeln nicht verkneifen: Die Athletinnen und Athleten beginnen heutzutage bereits mit fünf oder sechs Jahren den Kunstturnsport auszuüben. 

Olympische Sommerspiele

Beide Kunstturner blicken mit Freude auf die Olympischen Spiele zurück. Besonders bei Benjamin Gischard sind die Erinnerungen noch frisch: Der Team-Captain erturnte sich gemeinsam mit der Mannschaft an den Olympischen Sommerspielen in Tokio im Mehrkampf-Final den ausgezeichneten 6. Schlussrang, was gleichbedeutend mit einem Oympischen Diplom war. «Der Wettkampf hätte für uns nicht besser laufen können – und besonders schön war es, dass wir die Rechnung aus den Olympischen Spielen in Rio begleichen konnten,» sagt Gischard. Vor 5 Jahren verpasste das Schweizer Team im brasilianischen Rio de Janeiro die Final-Qualifikation mit dem 9. Schlussrang nur um Haaresbreite.

Der Wettkampf hätte für uns nicht besser laufen können – und besonders schön war es, dass wir die Rechnung aus den Olympischen Spielen in Rio begleichen konnten.
Benjamin Gischard Team-Captain, Kunstturn-Nationalkader

Auch Ernst Fivian blickt mit Freude an die Olympischen Spiele 1952 in Helsinki zurück – selbst wenn seine Mannschaft vom damaligen Team aus der Sowjetunion überrascht wurde, wie er erzählt: «Wir sind als Weltmeister angetreten und rechneten uns gute Chancen auf Gold im Teamwettkampf aus – bis wir die Russen sahen.» An den Wettkämpfen in Finnland trainierte das Schweizer Team in derselben Halle wie die Russen. Was Fivian dort zu sehen bekam, wird der 90-Jährige nie mehr vergessen: «Die Russen konnten im Training am Pauschenpferd zwei bis drei Pflichtübungen nacheinander absolvieren – ohne Probleme. Wir hingegen waren bereits nach einer Übung völlig platt. Mit solchen Kraft-Turnern konnten wir einfach nicht mithalten.» Mittlerweile gehören die russischen Kunstturner bei internationalen Wettkämpfen zu den Favoriten. 

Fivians Rücktritt

Im Gespräch zeigt sich: Ernst Fivians Rücktritt erfolgte nicht ganz freiwillig: Der 90-Jährige musste seine Karriere nach seinem zweiten Achillessehnenabriss beenden. An die erste Verletzung erinnert sich Fivian noch gut: «Es geschah beim letzten Olympia-Qualifikationswettkampf: Ich ging als Dritter in den Sprung-Wettkampf und lief auf dem Holzboden an. Beim Absprung hörte und spürte ich den Riss», sagt Fivian. Auch Benjamin Gischard blieb von Verletzungen nicht verschont. Der 25-Jährige unterzog sich kürzlich einer Schulteroperation und fällt nun für mindestens vier Monate verletzungsbedingt aus. 

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