Zur Person
Mathias Sprecher (41) kommt aus Teufen und ist seit über 30 Jahren leidenschaftlicher Turner. Ausserdem bildet er als Jugend- und Sport-Experte angehende Leiterinnen und Leiter im Bereich Kunst- und Geräteturnen aus.
Mittlerweile arbeitet er als Crossfit-Trainer und Umweltingenieur in St. Gallen und ist als Mentalcoach tätig.
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Mathias Sprecher, wie bist du zum Mentaltraining gekommen?
Als ich mit 20 Jahren im Verein die Leitung übernommen habe, haben mich Sportpsychologie und die mentalen Abläufe stark interessiert. So habe ich von Anfang an Fertigkeiten, wie Visualisierung, ins Training mit eingebaut. Dabei habe ich schnell bemerkt, wie stark sich die Leistung der Turnenden erhöht. Ich habe mich stetig mit Büchern weitergebildet und schlussendlich die Ausbildung zum Mentaltrainer IAP am Institut für angewandte Psychologie an der ZHAW absolviert.
Mentaltraining wird oft noch als «Gspürsch mi» belächelt. Was sagst du dazu?
Das ist wie, wenn ein Sportler sagen würde, er müsse nicht für den Weitsprung trainieren, weil er von Natur aus weit springen kann. Es ist möglich, dass ein Sportler, eine Sportlerin an sich schon sehr robust und mental stark ist. Aber meistens sind es nicht diese Personen, die Mentaltraining belächeln. Vielfach wird es von den Menschen belächelt, die Angst haben, dass Mentaltraining bei Ihnen Schwächen aufdeckt, die sie verdrängen.
Ein weiterer Grund kann auch sein, dass Vielen gar nicht klar ist, was Mentaltraining überhaupt ist. Allerdings hat sich der Stellenwert von Mentaltraining in den vergangenen Jahren stark erhöht, ist in den meisten Sportarten angekommen und hat sich als Erfolgsrezept etabliert.
Was genau ist denn Mentaltraining?
Die Spannweite von Mentaltraining ist sehr gross. Es geht weniger um etwas Übermenschliches oder Spirituelles, sondern vielmehr darum, wie ich intelligent mit Köpfchen trainiere.
Mentales Training wurde ursprünglich im Sinne der Visualisierung als Trainingsmethode zur Optimierung eines Bewegungsablaufes verwendet. Heute wird mentales oder psychologisches Training in vielen weiteren Bereichen eingesetzt. Im Fokus steht dabei, mit Hilfe positiver Psychologie die sozialen und kognitiven Kompetenzen zu verbessern und die Belastbarkeit, das Selbstbewusstsein und das Wohlbefinden zu steigern.
Ein Ziel als Mentaltrainer ist, dass die zu coachende Person oder das Team den sogenannten Flow-Zustand besser erreichen kann. Als Flow bezeichnet man den Zustand der totalen Fokussierung und Konzentration auf eine einzige Tätigkeit, eine Gratwanderung zwischen Unterforderung und Überforderung, ein Zustand, der vom idealen Verhältnis zwischen Herausforderung und Fertigkeit lebt. Der Sportler fühlt sich dabei in der Lage, eine grosse Herausforderung zweifellos meistern zu können. Manche Sportler oder Sportlerinnen beschreiben den Flow als «das Gefühl, das Unkontrollierbare kontrollieren zu können».
In welchen Bereichen kann es angewendet werden?
Die Anwendungsgebiete sind vielfältig. Begonnen beim bewussten Handeln im Aussen, sprich richtiges Etablieren von Gewohnheiten im Alltag, über Wettkampfvorbereitung, Angstbewältigung, Motivation, Erhöhung der Belastbarkeit, Förderung des Zusammenhaltes, Konfliktbewältigung bis hin zur Entwicklung der Führungsfähigkeiten von Leiterinnen und Leitern.
Das Wichtigste auf einen Blick
Grundsätze:
- sich von Abhängigkeiten lösen
- Regelmässigkeit
- Gutes Zureden, sich mit Worten bestärken
- Eines nach dem anderen, Schritt für Schritt à auf den Verein bezogen: klein anfangen
- Mehr prozess- als zielorientiert arbeiten → Das Training (der Prozess) muss Spass machen und motivierend sein
Methoden/Anwendungsbereiche:
- Zielsetzungsarbeit
- Motivationstraining
- Visualisierung
- Etablierung von Gewohnheiten
- Entspannungstechniken (Gelassenheit, Umgang mit Nervosität)
- Selbstgespräche/Gedankenkontrolle (Sicherheit gewinnen)
- Wettkampfvorbereitung (Countdown-System)
- Persönlichkeitsentwicklung
Welche Methoden gibt es?
Es gibt unzählige Methoden und diese müssen individuell angewendet werden. Was bei einer Person funktioniert, tut es vielleicht bei jemand anderem nicht. Eine davon ist, wie bereits angesprochen, die Visualisierung. Hier gibt es verschiedene Varianten: zum Beispiel durch innere, äussere oder die Bewegungswahrnehmung. Visualisiert werden kann technisch, das heisst eine einzelne Bewegung oder eine ganze Choreografie, aber auch ein Verhalten, Athletik oder Emotionen. Wichtig ist, beim Visualisieren alle Sinne anzusprechen. Was sehe ich, was höre ich, was rieche ich, was und wie spüre ich es.
Bei der Wettkampfvorbereitung kann ein Countdown-System nützlich sein. Dabei schreibt der Sportler, die Sportlerin oder das gesamte Team für jeden Tag in der Wettkampfwoche auf, wie sie sich vorbereiten: was trainiere ich, wann erhole ich mich, welche Wettkampfutensilien brauche ich und wann packe ich sie ein, wo und wann mache ich das Warm-up und so weiter. Somit ist man am Tag X gelassener und weniger nervös.
Mit Atemübungen, autogenem Training, Meditation, progressiver Muskelentspannung kann Stress reduziert, Gelassenheit trainiert und so die Konzentration und Aufmerksamkeit gesteigert werden. Diese Methoden können auch sowohl zur Regeneration als auch zur Aktivierung beitragen. Weiter kann ein Team Rituale entwickeln, um den Zusammenhalt zu fördern und die Mitglieder zu motivieren. Weitere Methoden sind Selbstgespräche zur Gedankenkontrolle. So können mit positiven Affirmationen – sich gut zureden – die Gedanken in die richtige Richtung gelenkt werden.
Warum kann Mentaltraining auch im Breitensport-Verein von Nutzen sein?
Ob Spitzen- oder Breitensport, spielt überhaupt keine Rolle, mit Mentaltraining lernst du fürs Leben. Positives Denken vereinfacht Vieles und führt zu mehr Gelassenheit. Das Etablieren guter Gewohnheiten im Alltag braucht ein Breitensportler genauso wie eine Spitzensportlerin. Motivierende Rituale und einen guten Zusammenhalt im Team benötigt auch ein Breitensport-Verein. Nicht zum Überleben, wie eine Profi-Mannschaft, wo es um eine Karriere und Geld geht, viel mehr aber, um motiviert und mit Freude auf ein Ziel hinzuarbeiten.
Wie geht man es als Verein an, um den Team-Zusammenhalt zu fördern?
Das ist ein längerer Prozess, der über Jahre hinweg stattfindet. Ein sehr wichtiges Thema sind Verantwortlichkeiten. Jedes Teammitglied sollte die Möglichkeit haben Verantwortung zu übernehmen. Denn nur so fühlt sich ein Mitglied wahrgenommen und kann sich mit dem Team besser identifizieren.
Wichtig dabei ist, die Ziele gemeinsam zu setzen und zusammen zu erarbeiten, was nötig ist, um diese zu erreichen. Aber auch die Einführung kleiner Rituale, wie beispielsweise, lautstarkes Applaudieren, wenn ein Teammitglied ein neues Element erfolgreich bewältigt, tragen zur Motivation und zum Zusammenhalt bei.
Wenn Probleme im Team bestehen, ist es wichtig, diese zu erkennen und direkt konstruktiv anzusprechen. Denn wenn diese vor sich hin schwelen, birgt das grosses Konfliktpotential.
Was tun, wenn es Personen im Verein gibt, die sich absolut nicht auf Mentaltraining einlassen wollen?
Der Person sagen, sie solle doch einfach mal versuchen mitzumachen, Schritt für Schritt angehen, mit einfachen Sachen wie Visualisieren beginnen. Wenn sich im Sportverein jemand sträubt, sich eine Bewegung vorzustellen, dann ist die Person am falschen Ort. Normalerweise kommt bei den meisten irgendwann der Zeitpunkt, wo sie merken, dass es etwas bringt. Danach kann eine nächste, tiefergehende Technik ausprobiert werden.
Es macht keinen Sinn, gleich eine Meditation durchführen zu wollen. Meine Devise lautet: Niemand soll zum Mentaltraining gezwungen werden. Ich möchte, dass die Leute auf mich zu kommen und sagen, dass sie Mentaltraining machen wollen. Dann ist die innere Motivation schon gegeben.
Wie nützt Mentaltraining etwas, wie nicht?
Für den Anfang empfehle ich einen professionellen Mentaltrainer beizuziehen, da einiges falsch gemacht werden kann.
Es nützt nichts, wenn ein Sportler mentales Training nur ein paar Mal im Jahr, kurz vor dem Wettkampf, anwendet. Er sollte mentales Training regelmässig trainieren. Grundsätzlich spielt die Regelmässigkeit in allen Bereichen des Lebens eine wichtige Rolle. Das wird oft vernachlässigt. Vor allem in der heutigen Zeit, in der Unverbindlichkeit modern ist. Aber Fakt ist, dass Wachstum immer auf Regelmässigkeit basiert – sei es bei der Arbeit, im Sport, der Ernährung oder in einem anderen Bereich.
Es ist nicht sinnvoll, wenn du monatelang keinen Sport machst und dann plötzlich dreimal pro Woche exzessiv. So machst du den Körper kaputt. Beim Mentaltraining verhält es sich ähnlich. Je regelmässiger du eine positive Gewohnheit machst, umso stärker wird der Effekt. Das Ziel ist, die Routine so im Hirn zu programmieren, dass sie wie das Atmen automatisch abläuft.
Mentaltraining ist dann kontraproduktiv, wenn ich Abhängigkeiten schaffe. Wenn ich ein Ritual einführe, dieses aber nur bei bestimmten Bedingungen durchführen kann, mache ich mich davon abhängig. Sind diese Bedingungen nicht vorhanden, entsteht eine Stress-Situation. Deshalb ist zum Beispiel beim Einsatz von bei Maskottchen Vorsicht geboten. Wer die Einstellung hat, dass es nicht gut laufen kann, wenn das Maskottchen nicht dabei ist, hat schon verloren. Für den Wettkampf ist eine strukturierte Wettkampfvorbereitung das A und O. Dabei sollten Rituale und mentale Wettkampfvorbereitungen, wenn möglich jederzeit und überall umsetzbar sein. Dazu gehört auch, als Leiterperson die Örtlichkeiten frühzeitig zu besichtigen und immer einen Plan B bereitzuhalten. Sich von Abhängigkeiten zu lösen, ist meiner Meinung nach, überall im Leben ein Grundsatz-Wert.