Prävention, Beratung und Aufsicht

  • 14. Dezember 2021

  • Barbara Meier

  • ZVG/Adobe Stock, Feng Yu

  • Diesen Beitrag findet ihr auch im GYMlive 5/2021.

Seit Januar 2021 hat der Schweizerische Turnverband (STV) eine unabhängige Ethikkommission. Zu ihren Aufgaben gehören Prävention, Beratung und Aufsicht, aber auch der Betrieb einer Anlauf- und Meldestelle. Präsident Daniel Mägerle gibt Einblick in Erfahrungen und Herausforderungen der Ethikkommission.

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Zur Person

Daniel Mägerle (51) studierte in Zürich und Cork/Irland und ist seit 2006 selbständiger Rechtsanwalt mit einer eigenen Kanzlei in Winterthur. Er ist Fachanwalt SAV Arbeitsrecht und neben der Spezialisierung in Arbeitsrecht auf dem Gebiet des Sportrechts tätig. Seit 2019 ist er Vizepräsident von Swiss Sliding. In seiner Kindheit und Jugend war Daniel Mägerle Kunstturner im TV Neftenbach und im Trainingszentrum Winterthur. Später war er aktiver Triathlet und nahm 2004 sowie 2006 im Vierer-Team am «Race across America» teil. Daniel Mägerle hat J+S-Ausbildungen in Triathlon und Handball absolviert. Er lebt in einer festen Partnerschaft und ist Vater von Zwillingstöchtern.

Daniel Mägerle, warum braucht der STV eine eigene Ethikkommission? Es existierten ja bereits diverse Anlaufstellen für Athletinnen und Athleten?

Swiss Olympic hat schon vor längerer Zeit vorgegeben, dass jeder angeschlossene Verband über eine unabhängige Ethikmeldestelle verfügen muss. Der STV kam zum Schluss, dass seine damalige Anlaufstelle nicht genüge und hat die Ethikkommission statutarisch eingeführt. Die Mitglieder wurden am 31. Oktober 2020 gewählt.
 

Am 31. Oktober 2020 sind auch die «Magglingen Protokolle» erschienen.

Ja, und viele meinen, die EinfĂĽhrung der Ethikkommission des STV sei eine Reaktion darauf. Diese war aber schon lange vorher durch alle Instanzen des Verbandes vorbereitet worden und die Wahlen waren lediglich der letzte Schritt. Es ist ein riesiger Zufall, dass beides am selben Tag stattgefunden hat.

Der STV hat sehr gut und glaubwürdig kommuniziert, dass es eine neue und absolut unabhängige Ethikkommission gibt.
Daniel Mägerle

Seit Januar 2021 ist die Ethikkommission nun an der Arbeit. Wie sieht Ihre Zwischenbilanz aus?

Der Start war happig und schneller als erwartet. Wir hatten die Vorstellung, dass wir rund zwei Monate Zeit hätten, um uns kennenzulernen und uns zu organisieren. Am Montag nach der Wahl hat uns jedoch der Zentralvorstand des STV damit beauftragt, eine Untersuchung zu den Vorwürfen in den Magglingen Protokollen betreffend Kunstturnen Frauen zu führen. Wir sind also gewissermassen ins kalte Wasser geworfen worden und mussten sofort an die Arbeit.

Bis im Frühling waren wir dann eingespielt und haben vom STV die nötigen Ressourcen erhalten. Seither läuft es gut.
 

Stichwort Ressourcen: Was kostet die Ethikkommission den STV?

Grundsätzlich arbeiten die fünf Mitglieder der Ethikkommission ehrenamtlich, wir erhalten eine Pauschalentschädigung gemäss der generellen Spesenregelung des STV. Bei Untersuchungshandlungen stellen wir den Aufwand auf der Basis einer eigenen Vereinbarung mit dem STV in Rechnung. Angestellt sind eine juristische Sekretärin mit einem 50-Prozent-Pensum und eine Assistentin mit einem Pensum von 15 Prozent.
 

Wie können die Hürden für eine Meldung durch eine betroffene Person möglichst tief gehalten werden?

Zum einen hat der STV sehr gut und glaubwürdig kommuniziert, dass es eine neue Ethikkommission gibt und dass diese absolut unabhängig ist.

Dann ist es sehr einfach, uns zu erreichen: Man kann uns anrufen oder man kann uns schreiben. Und es gibt zwei Meldestellen, einmal bei einem männlichen Anwalt und einmal bei einer weiblichen Ärztin.

Wir nehmen das Anliegen auf, und als Erstes hören wir zu und sprechen mit den Leuten. Manchmal ist das Anliegen damit bereits erledigt, die Leute wollen in einzelnen Fällen einfach jemanden, der ihnen einmal zuhört, Dampf ablassen oder eine Beratung. Oder sie entscheiden sich dann eben dafür, eine Meldung zu machen.

Als Erstes hören wir zu und sprechen mit den Leuten.
Daniel Mägerle

Gibt es typische Meldungen? Und wie unterscheiden sie sich?

Grundsätzlich ist jede Meldung anders. Aber es lassen sich Gruppen bilden. Zum einen gibt es Meldungen, die oft eine längere Geschichte haben und auf eine gewisse Angstkultur zurückzuführen sind.

Dann gibt es Meldungen zu sportlichen Entscheiden. Hier klären wir aber höchstens ab, ob zum Beispiel eine Nichtselektion willkürlich oder diskriminierend erfolgt ist.

Eine weitere Gruppe sind Meldungen, die das Verhalten eines Vereins oder Verbands betreffen, nachdem jemand dort ein Fehlverhalten eines Trainers oder einer Trainerin gemeldet hat. Das hat oft mit schlechter oder verweigerter Kommunikation zu tun.

Und dann gibt es Fälle, wo Leute einfach nicht miteinander können, und schon lange ein Konflikt schwelt. In der Regel liegt in solchen Fällen kein Ethikverstoss vor, die Beratungen können dennoch hilfreich sein.
 

Gibt es Fälle, für welche die Ethikkommission klar nicht zuständig ist?

Wie bereits gesagt, nehmen wir keine Stellung zu sportlichen Entscheiden und mischen uns nicht in den Kompetenzbereich des Trainerstabs und der Chefs Spitzensport ein, sofern nicht Willkür oder eine Diskriminierung vorliegt. Wir sind auch keine allgemeine Beschwerdestelle, entsprechende Anliegen leiten wir mit dem Einverständnis der meldenden Person an die zuständige Stelle weiter.Ebenfalls sind wir nicht zuständig, wenn es um strafrechtlich Relevantes geht. Das ist Sache der Strafverfolgungsbehörden und wir empfehlen in solchen Fällen eine Strafanzeige.

Wer sich korrekt und transparent verhält und seine Position nicht ausnützt, kann seine Tätigkeit auch in Zukunft ohne jegliche Verunsicherung ausüben.

Wie bearbeiten Sie eine Meldung konkret?

Wir nehmen die Meldung auf und besprechen sie an der Konferenz der Ethikkommission. Wenn wir keinen Ethikverstoss feststellen, treten wir nicht darauf ein. Wenn wir nicht sicher sind, leiten wir eine Voruntersuchung ein. Wenn es sich klar um einen Ethikverstoss handelt, eröffnen wir eine Untersuchung. Zudem informieren wir die meldende Person, wie das Verfahren abläuft und was das für sie konkret bedeutet. Selbstverständlich gilt dabei immer die Unschuldsvermutung der angeschuldigten Person.
 

Anonymität ist für viele eine wichtige Voraussetzung, um eine Meldung zu machen. Können Sie diese immer gewährleisten?

Wir sorgen auf jeden Fall dafür, dass die meldende Person geschützt ist und keine Repressalien befürchten muss. Anonymität ist jedoch nicht immer möglich. Wenn zum Beispiel in einer bestimmten Halle zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Gerät etwas vorgefallen ist, wird es schwierig, weil wir ja die angeschuldigte Person mit diesem Vorfall konfrontieren müssen.
 

Und wie geht es nach Abschluss einer Untersuchung weiter?

Das kommt sehr auf den konkreten Fall an. Wir haben ja keine Entscheidkompetenz, sondern machen lediglich Empfehlungen. Das tun wir gelegentlich auch dann, wenn wir keinen Ethikverstoss festgestellt haben.Wenn wir einen Ethikverstoss feststellen, empfehlen wir in der Regel Massnahmen gegen die angeschuldigte Person oder organisatorische Verbesserungen.

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Fälle wurden zwischen dem 1. Januar 2021 und dem 25. Oktober 2021 der Ethikkommission gemeldet.

Ab Januar 2022 soll «Swiss Sport Integrity» die Funktion der Meldestelle übernehmen.

Genau, am 26. November 2021 findet das Sportparlament von Swiss Olympic statt. Man geht davon aus, dass das Parlament dem neuen Ethikstatut zustimmt (Anm. d. Red.: Das Interview mit Daniel Mägerle fand vor dem Entscheid des Sportparlamentes statt. Dieser lag bis Redaktionsschluss nicht vor). Damit würde aus «Antidoping Schweiz» neu «Swiss Sport Integrity» und als Teil davon eine zentrale Meldestelle für Ethikfälle aller bei Swiss Olympic angeschlossenen Verbände geschaffen.
 

Wie verändert sich damit die Aufgabe der Ethikkommission des STV?

Wir werden die Ethikkommission für den STV bleiben, uns jedoch auf die Aufgaben wie Prävention, Beratung, Vernetzung und unsere Aufsichtsfunktion konzentrieren. In diesen Bereichen gibt es bereits verschiedene Projekte. Für konkrete Meldungen werden wir in Zukunft an «Swiss Sport Integrity» verweisen. Ebenfalls werden wir unsere laufenden Untersuchungen abschliessen. Und natürlich werden wir in Zukunft mit «Swiss Sport Integrity» zusammenarbeiten.

In vielen Fällen braucht es einfach eine neutrale Stelle, wo man etwas deponieren kann.
Daniel Mägerle

Wenn Sie auf Ihr erstes Jahr als Präsident der Ethikkommission zurückblicken: Welche Erkenntnis erachten Sie als besonders wichtig?

Zum Kulturwandel gehört, dass Missstände gemeldet werden dürfen, ohne dass man Repressalien oder andere Nachteile zu befürchten hat. Die Ethik-Charta des Schweizer Sports muss von allen Beteiligten, Funktionären, Trainerinnen und Trainern und so weiter auf allen Ebenen verinnerlicht und gelebt werden. Wer sich korrekt und transparent verhält und seine Position nicht ausnützt, kann seine Tätigkeit auch in Zukunft ohne jegliche Verunsicherung ausüben.

Die Ethikkommission besteht aus:

Daniel Mägerle, Winterthur
Präsident / Jurist / Deutschschweiz

Christian Blandenier, Fontainemelon
Mitglied / Jurist / Romandie

Valentina Lavagno, Giornico
Mitglied / Juristin / Tessin

Ursula Laasner-Haussmann, Winterthur
Mitglied / Medizinischer Bereich / Deutschschweiz

Roman Gisi, Oberkirch
Mitglied / Athletenvertreter / Deutschschweiz

Platin Partner

Gold Partner

Silber Partner

Bronze Partner

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